Krankheiten und Behandlungsmöglichkeiten

Autismus

  • Krankheitsbild
  • Diagnostik
  • Ursachen
  • Störungen im Sozialverhalten
  • Störungen in der Kommunikation und Sprache
  • Störungen bei Bewegungen und Interessen
  • Therapie

Krankheitsbild

Als Autismus bezeichnet man eine sogenannte tiefgreifende Entwicklungsstörung, die im Kindesalter auffällig wird.

Obwohl verschiedene Formen unterschieden werden, gibt es typische Merkmale in Verhalten und Entwicklung betroffener Persönlichkeiten, die alle in unterschiedlicher Schwere und Ausprägung aufweisen.

Soziale und emotionale Isolation, Beeinträchtigungen bei der Sprachentwicklung und somit Kommunikationsfähigkeit und die Neigung zu stereotypem Verhalten sind solche Charakteristika.

Die bekanntesten Formen sind:

  • frühkindlicher Autismus (sogenanntes Kanner-Syndrom)
  • Asperger-Syndrom
  • Rett-Syndrom
  • High-Functioning-Autismus
  • atypischer Autismus

Im Durchschnitt erkranken drei von 10.000 Kindern an einer autistischen Störung. Die Ursachen sind noch nicht hinlänglich geklärt. Mögliche Einflüsse sind insbesondere erbliche Faktoren und Infektionskrankheiten.

Jedoch können auch starke Vernachlässigung oder Bezugspersonen mit Auffälligkeiten im sozialen und emotionalen Verhalten bei Kindern autistische Reaktionen hervorrufen. Diese Form wird psychogener Autismus genannt.

Formen des atypischen Autismus treten erst ab dem dritten Lebensjahr in Erscheinung. Betroffene leiden dabei nur unter einigen Symptomen.

Diagnostik

Autistische Störungen eindeutig zu erkennen, ist nicht ganz einfach. Nicht jedes Bedürfnis, für sich zu sein, verweist sofort auf eine autistische Erkrankung.

An erster Stelle steht der Austausch von Arzt und Eltern über mögliche Besonderheiten und Auffälligkeiten des Kindes in seinem Verhalten. Merklich betroffen sind folgende drei Bereiche:

  • Zwischenmenschlichkeit (gestörtes Sozialverhalten)
  • Sprache und Kommunikation (beeinträchtigte Entwicklung und Umsetzung)
  • Interessen und Verhalten (stereotyp, repetitiv und eingeschränkt)

Bis eine Diagnose gestellt werden kann, vergeht meist viel Zeit. Durch Beobachtung und Fragebögen kann sich der Verdacht bestätigen. Weitere Untersuchungen der Motorik, der Wahrnehmung, der Intelligenz und eben des sozialen Verhaltens, der Sprachentwicklung sowie der Interessenbreite geben Aufschluss.

Wichtig ist, andere Erkrankungen auszuschließen. So können Angsterkrankungen und eine verminderte Intelligenz ähnliche Symptome aufweisen.

Ursachen

Die vorherrschende These, die Gefühlskälte der Eltern sei Ursache für autistische Störungen des Kindes, ist mittlerweile widerlegt.

Gesichert ist in der Ursachenforschung bisher jedoch nichts. Einfluss haben vermutlich:

  • genetische Faktoren
  • biochemische Faktoren (beispielsweise "Geburtsstress")
  • neurologische Faktoren (beispielsweise Schädigungen und Abweichungen des Gehirns)
  • psychologische Faktoren (die meist durch neurologische Besonderheiten bedingt sind, beispielsweise "Gefühlsblindheit")

Bei den meisten Formen sind Betroffene drei- bis viermal häufiger männlich, Mädchen entwickeln seltener autistische Erkrankungen.

Störungen im Sozialverhalten

Die Symptome unterscheiden sich je nach Form der autistischen Störung vor allem in ihrer Ausprägung und ihrem Schweregrad.


Beim frühkindlichen Autismus (Kanner-Syndrom):

  • früher Beginn (in den ersten drei Lebensjahren)
  • Meidung von Blickkontakt
  • Meidung von Körperkontakt
  • "Gefühlskälte" (Fehlen von Mimik, Gestik und Teilhabe)
  • Furchtlosigkeit bei Gefahr und Angst


Beim Asperger-Syndrom:

  • später Beginn (meist im Kindergarten- oder Grundschulalter)
  • weniger tiefgreifend als beim Kanner-Syndrom
  • begrenzter Kontakt zu Mitmenschen
  • Zurückgezogenheit und fehlende Anteilnahme (isoliert wirkend)


Beim Rett-Syndrom:

  • ausschließlich Mädchen betroffen
  • erblich bedingt
  • Beginn zwischen erstem und viertem Lebensjahr
  • plötzliche Verlangsamung oder Abbruch der körperlichen und geistigen Entwicklung
  • Verlust der Fähigkeit der Kontaktaufnahme


Beim atypischen Autismus:

  • ab dem dritten Lebensjahr
  • schwächer ausgeprägte Störungen zwischenmenschlicher Beziehungen

Störungen in der Kommunikation und Sprache

Beim frühkindlichen Autismus (Kanner-Syndrom):

  • gestörte Sprachentwicklung (die Hälfte der Betroffenen erlernen nie eine sinnvolle Sprache)
  • gestörte Sprechentwicklung
  • eingeschränkte bis fehlende Mimik, Gestik und Anteilnahme
  • starker Selbstbezug beim Sprachgebrauch und Ignoranz gegenüber Kommunikationspartnern
  • ungewöhnlich tiefe und betonte Stimmmelodie
  • Echolalie (Wiederholung bestimmter Wörter)
  • Neologismen (Neuerfindung von Wörtern)
  • pronominale Umkehr (Verwechslung von "Ich" und "Du")
  • Unfähigkeit, übertragene Bedeutungen zu verstehen (Unverständnis von Ironie, Redewendungen, Sprichwörtern)


Beim Asperger-Syndrom:

  • normale Sprachentwicklung
  • Selbstgespräche und egozentrische Sprachverwendung (selten zur Kontaktaufnahme oder


Kommunikation mit anderen)

  • auffällige Stimmmelodie
  • oft hohe Intelligenz und übermäßige Ernsthaftigkeit (altkluge und unkindliche Kommunikation)

Störungen bei Bewegungen und Interessen

Beim frühkindlichen Autismus (Kanner-Syndrom):

  • stereotype und repetitive Bewegungsmuster (ständiges Wiederholen der immer gleichen Bewegungen, beispielsweise das Vor- und Zurückwippen des Körpers)
  • Interesse an Teilaspekten eines Dings (beispielsweise nur ein Rad und nicht das ganze Spielauto)
  • grundsätzliches Desinteresse an kindgerechtem Spielzeug
  • Spezialinteressen (beispielsweise Telefonbücher auswendig lernen)
  • manchmal regelrechter Expertenstatus auf dem Spezialgebiet
  • verminderte Intelligenz bei 70 Prozent der Betroffenen
  • ausgeprägte Gewohnheit (Rituale und Traditionen müssen beibehalten werden, beispielsweise die Position der Möbel)
  • Veränderungsangst (Wut, Aggressionen und Angst bei Veränderungen)
  • gestörte Wahrnehmung und Einschätzung (Furchtlosigkeit bei Gefahr und Angstreaktion bei harmlosen Situationen)
  • hohe Schmerzgrenze, aber auch Überempfindlichkeit bei schmerzfreien Handlungen
  • oft Selbstverletzung


Beim Asperger-Syndrom:

  • durchschnittliche bis überdurchschnittlche Intelligenz
  • häufig Lernprobleme durch Aufmerksamkeitsstörungen und eigene Ablenkung
  • Sonderinteressen und Expertenstatus (beispielsweise beim Rechnen)
  • häufig Aggressionen und Wutausbrüche bei Einschränkungen und Anforderungen
  • Dickköpfigkeit
  • gering ausgeprägte Körpersprache
  • Ungeschicktheit


Beim Rett-Syndrom:

  • Kontrollverlust über die eigenen Hände ("Waschbewegung")
  • stereotype und repetitive Bewegungen
  • Gangauffälligkeiten (unkoordiniert und grobmotorisch)
  • Auffälligkeiten der Bewegung des Oberkörpers
  • Zähneknirschen
  • epileptische Anfälle
  • verlangsamtes Kopfwachstum

Weitere Symptome können Schlafstörungen, Essstörungen und allgemeine Angsterkrankungen sein. Auch Bewegungsunruhe (hyperkinetisches Verhalten wie bei ADHS) und Aufmerksamkeitsstörungen sind typisch. Ebenso leiden Betroffen an unkontrollierten, plötzliche rasante Bewegungen (motorische Tics) und ebensolchen Lautäußerungen (vokale Tics).

Therapie

Konventionelle Therapie

Eine vollständige Heilung ist bei autistischen Störungen nicht möglich. Demnach zielt die Therapie vor allem auf die Linderung der Symptome und die Unterstützung der Betroffenen und ihrer Angehörigen beim Umgang mit der Erkrankung im Alltag. Die Therapie erfolgt je nach Zeitpunkt der Diagnose, Entwicklungsstand und Form der Störung individuell.

Die wichtigsten Ziele einer im Grunde lebenslangen Therapie sind:

  • Förderung der normalen körperlichen und geistigen Entwicklung
  • Hilfe im Umgang mit Menschen
  • Abbau der stereotypen Bewegungs- und Verhaltensmuster
  • Unterstützung der Familie

Medikamentös können nur einzelne Symptome wie Unruhe, Selbstverletzung und epileptische Anfälle behandelt werden. Empfehlenswert ist in jedem Fall eine psychotherapeutische Betreuung in Form einer Verhaltenstherapie. Bei solchen Verhaltenstrainings kann an der Beziehung zu anderen Menschen gearbeitet werden.

Motorische und sprachliche Auffälligkeiten können mittels Physiotherapie und Logopädie behandelt werden.

Entscheidend bei der Therapie ist besonders die Rolle der Eltern. Unterstützung und Information können unter anderem Selbsthilfegruppen geben.


Komplementäre Therapie

Obwohl bisher noch wissenschaftliche Nachweise für den Erfolg fehlen, können alternative Therapieansätze hilfreich sein. Je nach Interessenlage der Betroffenen kann eine Kunsttherapie, Musiktherapie und tiergestützte Therapie unterstützend sein.