Krankheiten und Behandlungsmöglichkeiten

Angeborene Muskelerkrankungen

  • Krankheitsbild
  • Diagnostik
  • Ursachen
  • Verlauf/Folgen
  • Konventionelle Therapie

Krankheitsbild

Muskelerkrankungen im Kindesalter sind meist Erbkrankheiten, die als progressive Muskeldystrophien bezeichnet werden. Muskelschwäche und -schwund sind die Folge.

Dieser Muskelabbau (Degeneration) verläuft fortschreitend (progressiv) und nicht selten mit Fehlbildungen der Muskulatur. Die beiden verbreitetsten vererbbaren Muskeldystrophien sind der Typ Duchenne und der Typ Becker-Kiener.

Beide Typen betreffen ausschließlich Jungen. Einer von 3.000 bis 5.000 männlichen Säuglingen leidet am Typ Duchenne, was diese Form zur häufigsten macht. Bereits im Kleinkindalter ist die Oberschenkel- und Beckenmuskulatur geschwächt. Die rasante Entwicklung bewirkt meist schon im frühen Erwachsenenalter den Abbau von Atem- und Herzmuskulatur, was für Betroffene tödlich endet. Daher wird dieser Krankheitstyp auch bösartige Muskeldystrophie (maligne) genannt.

Der Typ Becker-Kiener kommt nur bei einem von 20.000 Jungen vor und ist somit wesentlich seltener. Auch hier sind vor allem das Muskelgewebe von Becken und Oberschenkel betroffen. Der Verlauf ist allerdings erheblich langsamer, weshalb diese Form auch als gutartige Muskeldystrophie (benigne) bezeichnet wird.


Symptome

Muskeldystrophien ziehen Muskelschwund und Muskelschwäche nach sich, wodurch vor allem die Bewegung gestört und eingeschränkt wird. Je nach Krankheitsform sind unterschiedliche Muskelpartien betroffen:

  • verzögerte Entwicklung der Motorik
  • Sturzneigung
  • Schwierigkeiten beim Gehen und Treppensteigen
  • Hohlkreuz
  • verdickte Waden
  • Muskelverkürzungen
  • gelegentlich verminderte Intelligenz

Diagnostik

Progressive Muskeldystrophien zeigen sich meist schon in der Kindheit. Der Typ Duchenne bis zum fünften Lebensjahr, der Typ Becker-Kiener ab dem sechsten.

Ist die Bewegung eines Jungen bereits mit den ersten Schritten eingeschränkt oder auffällig, liegt der Verdacht auf eine Muskeldystrophie nah. Zur Diagnose sind allerdings frühzeitige Untersuchungen im Labor notwendig.


Blutuntersuchung

Liegt eine Muskeldystrophie vor, ist der Wert der Kreatinkinase erhöht. Dieses Enzym ist vor allem für Herz- und Skelettmuskeln charakteristisch. Findet ein Abbau dieser Muskulatur statt, werden die Kreatinkinase und andere Enzyme freigesetzt und somit im Blut nachweisbar. Beim Typ Duchenne ist das Vorkommen der Kreatinkinase bereits im Blut der Nabelschnur in erhöhter Form messbar.


Molekulargenetischer Test

Mittels Gentest lassen sich nur Muskeldystrophien diagnostizieren, deren Ursache im Defekt oder in der Mutation des Erbguts, den Genen, liegt. Es werden Proben von Mundschleimhaut und Blut getestet. Gewissheit kann jedoch nur eine Gewebeprobe (Muskelbiopsie) geben.


Muskelbiopsie

Für eine feingewebliche Analyse wie einer Muskelbiopsie wird ein Probe des von Muskelschwund betroffenen Gewebes entnommen und untersucht. Anhand der Ergebnisse kann festgestellt werden, ob Muskelfasern abgebaut oder durch anderes Gewebe wie Binde- oder Fettgewebe ersetzt wurden.

Entscheidend ist auch der Anteil des Eiweißes Dystrophin. Ohne ausreichend Dystrophin überlebt keine Muskelzelle. Fehlt das Dystrophin vollständig, handelt es sich um den Typ Duchenne. Finden sich Reste des Eiweißes, ist es der Typ Becker-Kiener.


Weitere mögliche Untersuchungen

Aufschlussreich bei der Diagnose sind auch Elektromyogramm (EMG) und Elektrokardiogramm (EKG). Sie zeigen eventuelle Abweichungen der Erregbarkeit von Herz- und Skelettmuskulatur. Die Stärke und Dauer dieser Muskelerregungen sind bei Muskeldystrophien vermindert. Ebenso hilfreich sind Sonographie (Ultraschall) und Magnetresonanztomographie (MRT), um Muskelerkrankungen festzustellen.

Ursachen

Progressive Muskeldystrophien entstehen durch Defekte oder Mutationen des Erbguts und sind demnach vererbbar.

Entscheidend für die beiden Muskeldystrophien des Typs Duchenne und des Typs Becker-Kiener ist das mangelnde Eiweiß Dystrophin. Ohne dieses Eiweißes kann keine Muskelfaser bestehen. Bei den genannten Formen bewirkt schadhaftes Erbgut, also ein Gendefekt, dass Dystrophin von Geburt an entweder gar nicht oder nur in ungenügender Menge vorhanden ist. Dieser Mangel des Eiweiß zieht früher oder später den Abbau von Muskelgewebe nach sich.

Die Vererbung der Muskeldystrophien betrifft fast ausschließlich männliche Kinder. Sie wird als x-chromosomal-rezessiv bezeichnet. Das Chromosom, auf dem das defekte Gen sitzt, ist somit das X-Chromosom. Männer besitzen eine X- und ein Y-Chromosom, Frauen zwei X-Chromosome. Rezessiv bedeutet, dass ein gesundes Gen die Wirkung des defekten Gens verdecken kann.

Demnach entwickeln männliche Säuglinge, die von ihrer Mutter ein defektes X-Chromosom geerbt haben, in jedem Fall eine Muskeldystrophie, da sie nur dieses eine X-Chromosom besitzen. Mädchen hingegen bleiben gesund. Ihr gesundes X-Chromosom unterdrückt das defekte. Jedoch können sie dieses weitervererben. Dass zwei defekte X-Chromosomen auftreten und auch weibliche Kinder erkranken, ist sehr selten.

Verlauf/Folgen

Muskeldystrophie des Typ Duchenne

Auffälligkeiten beginnen meist mit dem zweiten Lebensjahr. Erkrankte haben meist eine verzögerte Entwicklung ihrer Motorik. Erst verspätet erlernen sie das Gehen, fallen öfter hin.

Deutlich wird die Krankheit zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr. Oft ist dann schon mehr als ein Drittel der Muskulatur, vor allem im Becken- und Oberschenkelbereich, zerstört. Betroffene Kinder benötigen meist Hilfe beim Aufstehen. Laufen und Treppensteigen, auch das Gehen selbst, fällt ihnen oft derart schwer, dass sie einen watscheligen Gang entwickeln. Durch eingelagerte oder die Muskeln ersetzendes Fett- und Bindegewebe nimmt der Umfang der Waden erheblich zu. Die schwache Rückenmuskulatur bewirkt ein Hohlkreuz.

Der Krankheitsverlauf ist derart rasant, dass betroffene Jungen bereits zwischen dem zehnten und zwölften Lebensjahr nicht mehr allein gehen können und auf einen Rollstuhl angewiesen sind.

Mit acht Jahren beginnt sich die Wirbelsäule zu verbiegen, sodass sich auch der Brustkorb verformt. Die Muskulatur von Armen und Schultern schwindet. Außerdem schränken Verkürzungen der Muskelfasern die Beweglichkeit ein. Mit dem 18. Lebensjahr sind Betroffene meist vollständige Pflegefälle.

Am gravierendsten wirkt der Verlust der Atem- und Herzmuskulatur. Störungen in der Atmung und schwer zu kurierende Atemwegserkrankungen sind die Folge. Herzrhythmusstörungen und Herzinsuffizienz sind nicht selten. Fast immer führt der Typ Duchenne im fortgeschrittenen Stadium zum Tod durch Ersticken oder Herzversagen.


Muskeldystrophie des Typ Becker-Kiener

Erste Symptome zeigen sich zwischen dem 6. und 12. Lebensjahr. Der Verlauf des Typ Becker-Kiener ist dem des Typ Duchenne sehr ähnlich. Die betroffenen Muskelgruppen und Beschwerden gleichen sich. Allerdings setzt die Krankheit später ein und verläuft wesentlich langsamer.

In der Regel können Betroffene bis zum mittleren Erwachsenenalter, manchmal noch bis zum 60. Lebensjahr, selbständig gehen. Aber auch hier ist die Lebenserwartung geringer, da die Muskulatur von Atemwegen und Herz irgendwann betroffen sind.

Konventionelle Therapie

Es gibt bisher keine wirksame Behandlungsmethode für die Ursache, den Mangel an Dystrophin. Eine Heilung ist ausgeschlossen.

Der Fokus liegt demnach auf der Erhaltung der vorhandenen Muskulatur und somit der Lebensqualität. Unterstützend sind Hilfsmittel im Alltag, die die Selbständigkeit der Betroffenen gewährleisten. Daneben sind Selbsthilfegruppen für Austausch und Geselligkeit sowie eine psychologische Betreuung der Betroffenen und Angehörigen empfehlenswert.

Übungen der Krankengymnastik helfen, vorhandenes Muskelgewebe zu stärken und erhalten. Besondere Übungen der Atemmuskulatur können Störungen der Atmung vorbeugen. Im fortgeschrittenen Stadium kann der Einsatz von Beatmungsgeräten notwendig sein.

Auch eine medikamentöse Behandlung kann den Krankheitsverlauf nicht stoppen, aber zumindest verzögern. Dabei wird auf Ribonukleinsäuren oder auch Corticoide zurückgegriffen.

Um Fehlbildungen und -stellungen durch die verkürzte Muskulatur entgegenzuwirken, können auch operative Eingriffe sinnvoll sein. Operationen können fördern, die Bewegungsfähigkeit und das Gehen so lange wie möglich zu erhalten. Ebenso kann eine Verkrümmung der Wirbelsäule (Skoliose) operativ behoben werden.

 


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